LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014
Im Jahr 1964 besingt Barbara LE MAL DE VIVRE im Keller von Saint-Germain-des Prés. Es ist die Zeit des Existentialismus in Paris. Vier Jahre später, im Mai 1968, implodiert die bürgerliche Gesellschaft.
Und was bedeutet LE MAL DE VIVRE heute? Uns plagen weniger existentielle Ängste, als das kritische Bewusstsein für Ungerechtigkeit und Gefühle wie Trostlosigkeit und Perspektivlosigkeit. Es dominiert ein Unbehagen gegenüber einer leistungsorientierten Konsumgesellschaft und allen Formen des Radikalismus.
Die gleichnamige Gruppenausstellung zeigt verschiedene thematische Facetten und subjektive Ansichten, was das gegenwärtige LE MAL DE VIVRE sein kann.
Guillaume Daeppen
Ana Vujic | LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014
FLÜCHTIGE SCHWARZE GEDANKEN
Da steht es, ein verlorenes Anarchiezeichen an der Wand. Quer auf der Fassade, ohne Rücksicht aufgesprüht, wird es dem zufällig vorbeilaufenden Passanten aufgedrängt. Es muss wahrscheinlich nachts gewesen sein, als dieser Chaosakt geschah und es wird wahrscheinlich Tag sein, wenn es mit lautem Getöse eines Hochdruckreinigers wieder entfernt wird. Dies muss die Spur eines Egowichsers sein, der seine Zeichen beliebig setzte und das monotone Grau der Fassade mit Rot ruinierte. Die Handschrift des Täters, ich sage dir, es muss die eines Teenagers gewesen sein, denn viel zu schnell geschrieben, manifestiert sie sich als eine beinahe abstrakte Form im Irgendwo. Sein jugendlicher Leichtsinn, der pubertäre Trieb ist Schuld für diesen sinnlosen, zu bestrafenden Gegenwind.
Die Stadt hat einen Körper, ihre Wände sind wie Membranen, so wie die Haut, die das Innere vom Öffentlichen trennen. Jeder Lebensraum ist ein Konstrukt, welcher den Zeitgeist ziert. Und jeder Zeitgeist bringt seine spezifischen Konstrukte hervor. Wird Neues gebaut, wird Altes verdrängt, so sind die Spielregeln. Die ästhetische Umsetzung eines Gebäudes zeigt seine Funktion und seinen Nutzen. Es ist nicht selbstverständlich, dass man einen Kindergarten nicht mehr von einem Bürogebäude, gar von seiner Wohnung unterscheiden kann. War es doch noch so, dass vor einem guten Jahrhundert die Psychiatrie einem Schulhaus glich.
Nicht nur in armen, sondern auch in unseren reichen Städten finden Obdachlose keinen Platz, sie scheinen dafür da zu sein, dass man sie noch weiter an den Rand schiebt. So lebt die Hoffnung weiter, dass die Erde eine Scheibe ist und all die Tagediebe dort ins Nichts herunterfallen. Man baut funktionslose, automatische Sprinkleranlagen vor Gebäuden, damit ein Penner, wie ein nasser Hund davon zotteln kann. Auch die Sitzbank ist zur Einsamkeit verdammt, mein Stück-Abtrennung- dein Stück, der heutige Bürger trägt sogar Scheuklappen am Arsch.
Jetzt wo du schon sitzt, schau umher, schau in die Kameras, die dir zunicken. Du kannst nicht, denn sie haben mehr Augen als du.
Wir leben in einer offenen Welt, in der Individualismus mit Egoismus verwechselt wurde. SVP-Plakate schreien von den Wänden, Rechtspopulismus macht sich in den Stuben bequem, geschürt wird Angst gegen Fremdes. Das, obwohl alle wissen, niemand will ein Fremder sein.
Das Irren im Alltag macht müde, will doch jeder nur abschalten, mit dem Blick am Abend in der Hand. Bilder des Krieges bringen keinen schlechten Schlaf mehr, sie sind Gutenachtgeschichten wie die der geilen Körper treibend durch eine reiche Welt.
Unsere Augen sind schwarz. Wir sind ausgebrannte Menschen in einer ausgebrannten Welt.
Ana Vujic
Ana Vujic | WHAT SHOULD I DO WITH A DRINK PUNK | 2014 | 100 x 100 cm
Ana Vujic | MELENCOLIA | 2014 | 240 x 220 cm
Ana Vujic | NICHTS IST SO SCHÖN WIE EIN REBELLISCHER GEIST | 2014 | 115 x 100 cm
Christophe Lambert | LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014
Le mal de vivre
champs de bataille où plane la mémoire nostalgique de nos combats vains…
Souvenirs de batailles futiles, sourire en coin, fuyant…
Nos dernières forces, un dernier soupir, dernier regard en arrière…
Etendue de terres brûlées où ma flamme s’est éteinte…
pétard mouillé…
chute de l’empire.
Christophe Lambert
Christophe Lambert | LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014
Hilde Kentane | FRAGILE | 2014 installation for LE MAL DE VIVRE
„Fragile“ is an installation that includes sculptures and their wooden moving crates.
This installation is produced in Brazil (Sao Paulo) where I live and work since 2011 and it was moved to Basel for the group exhibition „Le mal de vivre“
The work is about challenges, leaving behind memories and unidentified emotions. The beauty and distress that comes with constantly moving to other countries.
A collection of unfinished fragments and unnecessary things from the past , mingling up with new impressions and experiences.
Creating new stories, a repetitive process that leads to „away feels again like arriving“.
The sculptures are made of resine and marble, calcite and ceramics.
The crates were actually used to transport the sculptures and are an integral part of the story telling.
Hilde Kentane | FRAGILE | 2014 | installation for LE MAL DE VIVRE
Sabine Wannenmacher | LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014
Le mal de vivre bedeutet für mich, die Suche nach seinem Platz in der Welt, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten eines Zusammenlebens in einer Gesellschaft, in der extrem viele verschiedene Kulturen und Lebensvorstellungen aufeinandertreffen, und die Frage, wie oder als was man hineingeboren wird in die Welt, und was das bedeutet für wer man sein wird oder kann.
Wobei mich zur Zeit besonders beschäftigt, dass auf meinem Weg nach Hause die ganz Avenue Louise eine Prostituierte nach der anderen steht, und das Image der Frau, das mir auf allen Werbeplakaten entgegenkommt, dass den Prostituierten erstaunlich ähnelt, sex sells, und wenn man kauft, gibts sex.
Und während auf allen Werbeplakaten die Frau nur noch so spärlich wie möglich bekleidet ist,
wenn ich aus meinem Atelierfenster schaue, sind alle Frauen, die vorbeigehen, verschleiert.
Sabine Wannenmacher
Sabine Wannemacher | LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014
Muriel Anastaze | LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014
Lieder des verbotenen Körpers
Sie sind zugleich ein Schrei der Wut gegen die Gewalt eines zunehmenden Rassismus, der das Anders-Sein verbannt, die Marginalität sanktioniert, die Sexualität knebelt, gegen die Gewalt einer Gesellschaft, die Kunst in pompeuse öffentliche Kulturzentren abschiebt und an der Börse notiert. Aber sie sind mehr noch ein Schrei der Liebe – nicht der naive oder arglose Schrei eines Künstlers, der an das Gute im Menschen glaubt – NEIN, ein Schrei der Liebe um nicht an dem Ekel zu krepieren, den diese Welt mir vorsetzt.
leben
gehäutet
gierig
Frau, streitend, mir nicht Körper, Sprache, Frau-Sein verbieten lassen, lebend, nicht nach den Ansichten der Götter fragen, nicht dem Schlaf der Gleichgültigkeit anheim fallend, mich nicht einlullen lassen. Was mich ängstigt ruft nach mir, und auf diese Angst, auf diese Unbequemlichkeit des ewig Unbekannten gründet sich mein künstleriches Schaffen.
Muriel Anastaze
Muriel Anastaze | Hommage à P.P.P. (Pier Paolo Pasolini) 1999
mixed media | 46 x 39 x 7 cm
Muriel Anastaze | CARNAGE II (Gemetzel) | 1999 | mixed media | 40 x 50 x 5 cm
Muriel Anastaze | CARNAGE (Gemetzel) | 1999 | mixed media | 40 x 50 x 7 cm
Joel Eschbach | LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014
LE MAL DE VIVRE | JOEL ESCHBACH
BORN FREE. RAISED IN CHAINS. THE ILLUSION OF CHOICE. ROUSSEAU’S CONTRACT.
STUPID MACHINES. SOCIAL DISILLUSIONMENT. SOWING IN FLAMES. VALUES IN ASHES.
MALUM MORALE. THIS IS OUR MAL. THIS IS YOUR VIE.
Joel Eschbach | LE MAL DE VIVRE | exhibition view June 2014